Die vier Kerzen


25.10.2021

Der Winter war über das Land gekommen. Wie die Landschaft, so hatte er auch die Hütte am Waldesrand unter seiner weißen Decke begraben. Eisige Winde striffen um die Ecken des Hauses, dass die Zapfen an den Kanten wackelten. Im Inneren lebte ein altes Paar, das ärmlich war. Ihr Besitz war nie groß, doch hatten sie es stets geschafft, sich und ihre vier Kinder am Leben zu erhalten. Fest waren sie entschlossen, dass es auch in diesem Jahr so sein würde. Am runden Tisch saßen sie, auf dem vier Kerzen brannten. Die einzige Quelle von Licht und Wärme in diesen kalten Tagen. Mit Decken umwickelt verharrten sie da, wie sie es schon den Großteil ihres Lebens getan hatten. Die Heimkehr ihrer Kinder erwarteten sie.

Die Tür schwang auf und ein eisiger Hauch begleitete dies. Eine der Kerzen auf dem Tisch ließ er erlöschen. Das jüngste der Kinder kam auf den Tisch zu, das Gesicht gerötet von der Kälte. Auf einem Stuhl ließ er sich nieder und begann sogleich zu erzählen. Er sprach von einem Freund, den er auf dem Markt getroffen hatte. Jener Freund, mit dem er schon viele gute Stunden verbracht hatte, dem er stets geholfen hatte, wenn er denn Hilfe brauchte und für den er immer da war. Einen Becher hielt er in seinen Händen, der mit heißem Würzwein gefüllt war. Als er um einen Schluck bat, da er Durst hatte und auch die Kälte so leichter zu verreiben war, lehnte er ab und sprach davon, dass er ihn sich hart verdient hatte. Den letzten Schluck nahm er damit.

Kaum dass der Jüngste endete, schwang die Tür ein weiteres Mal auf. Der kalte Wind ließ sich nicht draußen halten, sodass eine weitere der Kerzen auf dem Tisch erlosch. Mit gerötetem Gesicht trat er an den Tisch heran. Doch nicht nur die Wangen und die Nase waren rot, auch waren es die Augen, als hätte er geweint. Niedergeschlagen ließ er sich neben seinem Bruder am Tisch nieder. Sogleich begann er davon zu erzählen, dass er den gesamten Morgen damit verbracht hatte, ein Kaninchen zu jagen. Als ihm dies endlich gelungen war, begab er sich zu seiner liebsten Stelle am Bach, wo er eine Feuerstelle vorbereitete. An diesem Ort hatte er sich mit ihr verabredet, seiner großen Liebe, mit der er so gerne Zeit verbrachte. Vergeblich wartete er auf sie, denn sie kam nicht. Sie hatte ihn verlassen.

Tränen rannen die Wangen des jungen Mannes hinab, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Die dritte Kerzenflamme fiel dem Windstoß zum Opfer. Im Haus sah sie sich erst um, als würde sie etwas suchen, bevor sie sich zu ihrer Familie an den Tisch setzte. Sogleich begann sie davon zu erzählen, dass sie den Morgen und Mittag damit verbracht hatte, im Wald zu spazieren. Dabei war sie auf kein Tier getroffen, wie sie es gehofft hatte, um Freundschaft mit ihm zu schließen. Sie war sich sicher, dass eines von ihnen sie die ganze Zeit beobachtete. Sicher fühlte sie sich dadurch, geradezu geborgen und so hatte sie die Zeit vergessen, während sie weiter nach diesem suchte. Als die Sonne begann hinabzusinken, machte sie sich auf den Heimweg, ohne dass ihr ihr Wunsch erfüllt wurde.

Lange Zeit verbrachten sie schweigend am Tisch. Ihre Blicke gingen hin zur Tür, um sich dann auf den Tisch zu legen. Die Geschichten hatten sie traurig gemacht, aber warteten sie auch auf das letzte Mitglied der Familie. Gerade als sie die Hoffnung aufgeben wollten, öffnete sich die Tür. Der aufkommende Wind vermochte es die letzte Flamme auf dem Tisch zum Tanzen zu bringen, doch schaffte er es nicht, sie erlöschen zu lassen. Der älteste Bruder trat an den Tisch heran. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Die Kerzen betrachtete er, dann griff er sich die noch entflammte. Ihr Feuer teilte er mit einer weiteren, sodass diese zu brennen begann, während er sprach. Er erzählte davon, dass er den Morgen mit der Reparatur des Wagens zugebracht hatte, da ihm dieser auf dem Marktplatz kaputt gegangen war. Ein junger Mann war ihm dabei zur Hand gegangen, den er mit einem Becher heißem Würzwein vom nächsten Stand belohnte.

Die Kerze in der Hand hielt er diese an die zweite, die erloschen war, um sie so neu zu entfachen, während er seine Geschichte fortsetzte. Er berichtete davon, dass er auf dem Weg zurück von der Stadt eine junge Frau gesehen hatte, die im Wald umher irrte. Auf sein Zurufen hin kam sie zu ihm, um ihm zu erzählen, dass sie mit ihrem Freund verabredet war, doch die Stelle nicht mehr fand, an der sie ihn treffen sollte. Nach einigen gewechselten Worten ließ er sie auf den Wagen steigen. Auf dem Weg machte er kehrt, um sie nach Hause zu bringen, wo sie sicher vor Kälte und anderen üblen Gestalten des Winters war. Erst dann machte er sich auf den Heimweg.

Mit der Kerze trat er neben seine Schwester, der er einmal liebevoll durch das Haar wuschelte, bevor er die letzte Kerze wieder zum Scheinen brachte. Während sie die aufkeimende Flamme beobachteten, setzte er seine Geschichte des Tages fort. Er sprach davon, dass er auf seinem doppelten Weg immer wieder einen bekannten Schopf in den Wäldern gesehen hatte. Extra langsam hatte er gemacht, damit er mit ihr mithalten konnte und ein Auge auf sie haben, damit ihr nichts passiert. Erst als er sich sicher war, dass sie den Heimweg antrat, tat er das gleiche, ohne dass er die geheimen Pfade nutzen konnte, die wesentlich kürzer waren. Der Wagen hatte ihn daran gehindert.

Am Tisch ließ er sich nieder, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. Die Kerze stellte er auf diesem ab. Den Abend verbrachte die Familie mit Erzählungen bei süßen Speisen, die der Älteste aus dem Wagen holte. Die vierte Kerze war es, die als erstes abgebrannt war, doch hatte sie den anderen drei ein neues Leben beschert.