24.04.2018
Es war einmal ein alter und weiser Graf, der in der wehrhaftesten und schönsten Burg des Königreiches lebte. Eines Tages geschah es, dass seine geliebte Frau verstarb, die ihm viele Jahre lang treu zur Seite stand und ihm viele wundervolle Kinder geschenkt hatte. Der alte Graf aber fühlte sich noch nicht dazu berufen, seine Ländereien seinen Kindern zu überlassen und seiner Frau zu folgen. So verblieb er auf seinem Thron.
Nach einiger Zeit ergriff ein beklemmendes Gefühl den alten Grafen, welches er lange Zeit nicht zu deuten wusste, schlussendlich aber als Einsamkeit identifizieren konnte. So schickte er seine treuen Gefolgsleute aus, dass sie ihm eine neue Frau finden sollen, die seiner Burg würdig ist. Sie sollte schön wie die großen Türme und standhaft sein wie die Mauern. Die Gefolgsleute suchten im ganzen Land und schlussendlich fanden sie eine Frau, die dem alten Grafen würdig sein würde.
Einer der jungen Pagen überbrachte seinem Herren die frohe Kunde: „Mein Graf, wir haben eine Frau gefunden, die euren Ansprüchen entspricht. Wir schickten eine Kutsche nach ihr, auf dass sie sie hierher zur Burg bringen werden.“
Sichtlich erfreut über die frohe Nachricht zeigte sich der alte Graf, bis der Page fortsetzte: „Jedoch hat sie einen Liebhaber, den es gilt aus dem Weg zu schaffen.“
Der Graf scholt den Pagen und schickten ihn hinfort. Auf seinem Throne ließ er sich wieder nieder und stützt sein Kinn in die Hand, während der Ellenbogen auf der Armlehne ruhte. So blickte er in die dunkle Leere seines Thronsaales und ersann sich eine List, um den Liebhaber aus der Welt zu schaffen, noch bevor seine Erwählte einen Fuß in die Burg setzen würde.
Die List gelang und schon bald wurde Hochzeit auf der Burg gefeiert. Die schönste und größte Hochzeit, die das Land je gesehen hatte und auf die selbst der König des Landes neidisch war. Das Hochzeitskleid bestand aus solch schimmernder Seide das man meinen konnte, man blickte direkt in die Sonne wenn man die Braut betrachtete. Drei Tage und drei Nächte lang feierte die Gesellschaft, die den alten Grafen zu seiner neuen Frau beglückwünschte, ohne den Gram zu bemerken, den diese aufgrund des gestohlenen Liebsten hegte.
Einige Monde zogen in das Land, eh der Graf seines Alters wegen zu Bette geworfen ward. Seine Frau, üher ihren Gram erhaben, pflegte ihren Mann, wie es ihre Pflicht von ihr verlangte. Trotz der Pflege verging das Leben des alten Grafen mehr und mehr, bis es schließlich erlosch. Seinen letzten Wunsch vermochte er noch gen seiner Frau zu äußern: „Suche dir einen Mann, der deiner würdig ist, denn ein Tag ist wertlos ohne die Nacht. Du sollst wieder heiraten und ist dies geschehen, wirst du all meine Ländereien und Reichtümer erben.“ Wohliwssend äußerte er diese Worte, dass seine Frau nach dem Geliebten suchen würde, aber ihn niemals finden.
Das Land versank in tiefer Trauer um den alten, beliebten Grafen und das Schwarz sah man für einen vollen Mond überall, wo man nur hinblickte. Als der Mond vergangen war, ließ die Witwe ein Fest ankündigen, welches arm und reich hervorlocken sollte, um den Wunsch ihres verstorbenen Gatten zu erfüllen. Insgeheim hoffte sie dabei, dass ihr Geliebter auch zu diesem Feste finden würde.
So kam es, dass dies Fest gefeiert wurde und die Gräfin im Mittelpunkt stand. Wann immer auch ein Mann zu ihr trat, begutachtete sie diesen kurz und schüttelte dann nur ablehnend ihr Haupt. Nie war der rechte dabei und so verging der Abend, ohne dass sie ihren Geliebten fand, bis nur noch die leisen Rufe einer Krähe durchden festlichen Saal zu hören war.
Drei weitere Tage der Festlichkeiten vergingen und drei weitere Tage ohne ihren Geliebten zu finden. Schlussendlich gab sie die Hoffnung auf, ohne dass es ihre Buhler taten. Zwei Grafen taten sich dabei am meisten hervor. Alte Freunde und doch in dieser Sache verfeindet. Männer von Ehre waren sie und so wollten sie ihren Kampf gerecht führen. Der eine war schlau und schön, der andere von mächtigem Bilde und großer Stärke.
„Wie sollen wir nur ihrer gewahr werden?“ Fragte der Starke den Schlauen, da dieser stets einen guten Rat wusste.
„Wir müssen sie dazu verleiten, sich in einen von uns beiden zu verlieben, auf dass sie uns ihre Hand reicht und damit ihre Schönheit.“
„Doch wie sollen wir dies bewerkstelligen?“ So brüteten sie die ganze Nacht über ihrem Probleme, bis wieder nur die Rufe des Raben durch den Saal zu hören waren. Unverichteter Dinge machten sie sich auf den Weg in ihre Gemächer.
Der Starke wollte sich gerade auf dem Bette niederlassen, als ein Rabenruf vom Fenster ihn lockte: „Komm zu mir, mein Freund, ich habe eine Lösung für dein Problem.“
Der Graf wandte sich dem Raben zu und ohne, dass er ein Wort sprechen konnte, erklärte sich der Rabe: „Ich habe davon gehört, dass du die Gräfin zu deiner Liebsten machen willst, dir dies jedoch nicht recht gelingen will. Ein starker und gewandter Graf wie du aber braucht ihr nur seine Stärken zeigen und schon wird sie sich in dich verlieben.“
„Und wie soll ich dies bewerkstelligen?“ Fragte der starke Graf und besah sich den Raben dabei unschlüssig.
„Bringe ihr den größten Stein, den du tragen kannst. Bringe ihr einen Ast vom ältesten Baum der Welt, hoch oben auf den Gipfeln. Bringe ihr die Pfote des schnellsten Tieres dieser Welt. Bringe ihr dies und sie wird dein sein.“ So sprach der Rabe und kaum dass das letzte Wort verklungen war, erhobe er sich vom Fenstersims und flog in die Nacht hinaus.
Der schlaue Graf, der gerade die Augen schloss, wurde ebenso von einem Rabenruf von seinem Unterfangen abgehalten und besah sich das Tier, dass auf seinem Fenstersims gelandet war.
„Komm zu mir, mein Freund, ich habe eine Lösung für dein Problem.“ Rief der Rabe ihm zu und der Schlaue erhob sich nach einem Moment des Zögerns. Raben waren für ihre Schläue bekannt und keiner sollte schlauer als er sein.
„Ich habe davon gehört, dass du die Gräfin zu deiner Liebsten machen willst, dir dies jedoch nicht recht gelingen will. Ein schlauer und schöner Graf wie du aber braucht ihr nur seine Stärken zeigen und schon wird sie sich in dich verlieben.“ Sprach der Rabe verheißungsvoll und ließ die Zweifel damit erlischen.
„Bringe ihr eine goldene Kugel, wunderschön und strahlend wie die Sonne selbst. Bringe ihr eine goldene Harfe, deren Schönheit im Aussehen nur noch von der Schönheit im Klang übertroffen wird. Bringe ihr ein goldenes Kleid, auf dass sie selbst zur Sonne wird, die sie in den Augen vieler schon ist. Bringe ihr dies und sie wird dein sein.“ So erklärte der Rabe und flog davon, ohne eine Antwort zu erwarten.
Die Nacht verging und am nächsten Morgen machten sich die beiden Grafen getrennt voneinander auf den Weg. Während der schlaue Graf in die Stadt ging, brach der starke Graf in die Richtung der Wälder und des großen Gebirges auf. Beide wollten sie die Dinge dem Raben bringen, die er von ihnen verlangt hatte, um die Hand der schönen Gräfin zu erhalten.
In der Stadt angekommen begrüßte man den schlauen Grafen freundlich, der auf seinem Weg über die Märkte bereits fündig wurde und einem Paar von Webern einen schillernden Stoff abkaufte, den er sogleich zu einer Schneiderin brachte, auf dass sie ihm ein Kleid darauß nähte. Während er auf die Fertigung wartete, wurde er bei einem anderem Stand fündig: Eine goldene Harfe, die im Sonnenlicht funkelte wie ein Meer aus Edelsteinen. Auch eine goldene Kugel erstand er und nachdem er die Schneiderin für ihr Werk entlohnt hatte, ging er wieder in die Richtung des Schlosses der schönen Gräfin.
Der starke Graf kämpfte sich durch die dichten Wälder, die noch dichter wurden umso näher er dem großen Gebirge kam, welches er besteigen musste. Mit seinem Schwert kämpfte er sich durch das Geäst und das Unterholz voran, bis zum Fuße des Berges, der mit einer schier unendlichen Höhe auf ihn wartete. Wind und auch schon bald Schnee wurde ihm entgegen geschleudert. Am ganzen Leib fröstelte er, doch der Gedanke an die schöne Gräfin gab ihm immer wieder neuen Mut und eine innere Wärme, die ihn bis hinauf auf den Gipfel begleitete. Dort ragte er vor ihm auf, ein uralter Baum, der älter noch war als die Berge selbst, die sich unter ihm erst auftürmten. Den Baum erklettern vermochte er nicht und so begab er sich auf die Suche nach einem heruntergefallenem Ast. Es dauerte lange Zeit, bis er fündig wurde.
Den wertvollen Ast schützend an sich gedrückt ließ der Starke den alten Baum in seinem Rücken, um sich auf die Suche nach einem Stein zu begeben, den er gerade so heben konnte. Sein Weg führte ihn über das große Gebirge hinweg, wo er hier und da einen Stein der Probe halber anhob, doch waren sie zu schwer oder nicht schwer genug, als dass er sie für würdig befand. Erst als er knapp einer Lawine aus Geröll auswich, die vom Gipfel ihm auf seinem Pfade entgegen rollte, entdeckte er den Stein, der würdig war als der schwerste zu gelten, den er tragen kann.
Mit Stein und Ast verließ er den Berg, um neuerlich durch den Wald zu streifen, in dem ein Hase leben sollte, der schneller noch als das Licht selbst war. Einige Male spürte der starke Graf, wie etwas an seinem Bein vorbeirannte, doch sehen konnte er nie etwas. Den Stein legte er ab und ließt sich auf diesem nieder, um mit dem Ast auf dem Schoße über eine Lösung nachzusinnen. Die gesamte Nacht und den darauffolgenden Morgen verbrachte er mit dem Nachdenken, eh ihm eine Idee kam. Den Stein hob er an und baute mit Hilfe des Astes und einiger Leckereien eine Hasenfalle, um sich daraufhin im Gebüsch zu verbergen. Es dauerte auch nicht lang und der Ast löste sich, auf dass der Stein niederfiel und als der Graf diesen wieder anhob, fand er darunter den erschlagenen Hasen, den er seiner Pfote beraubte. Getaner Arbeit machte er sich auf den Weg in Richtung de Schlosses der schönen Gräfin.
Schon bald veranstaltete die Gräfin wieder ein Fest, um sich einen Mann für ihre Seite zu suchen, ohne dabei auf ihren Geliebten zu warten. Die beiden Grafen waren anwesend und so traten sie an die Gräfin heran, um ihr die Dinge zu bringen, die der Raben ihnen verheißungsvoll aufgetragen hatte. Der Schlaue ließ dem Stark den Vortritt, um zu sehen, wie dieser agierte. So trat der starke Graf an die Gräfin heran und legte den Stein nieder.
„Diesen hier habe ich in den Bergen gefunden.“ Sprach er und legte den Ast daneben.
„Diesen hier fand ich nach einer Reise auf den höchsten Gipfel, zum ältesten Baum.“ Berichtete er und legte dann die Hasenpfoten ebenso vor die Gräfin.
„Und diese hier nahm ich nach einem kurzem Kampf dem Hasen ab.“ Beendete er die Vorstellung seiner mitgebrachten Geschenke und blickte erwartungsvoll in das Antlitz der Gräfin. Diese aber schien wenig beeindruckt und so trat der Starke unter einer Entschuldgung zurück, um seinem alten Freund den Platz zu überlassen.
Der schlaue Graf machte eine Verbeugung, schwungvoll und elegant wie er auch selbst war. Das goldene Kleid überreichte er als erstes der Gräfin und sprach dazu: „Dieses Kleid, meine Sonne am Himmel, habe ich euch von einer Schneiderin machen lassen, die aus den feinsten Stoffen wahre Wunder vollbringen kann und der man sogar nachsagt, dass sie selbst aus Spinnenweben Kleidung fertigen kann. Den Stoff allerdings nahm ich zwei Webern ab, die für einen Kaiser einen Stoff weben sollten, der noch schöner ist als es ihr seid, meine Gräfin. Dieses Wunder konnte ich nicht in unwürdigen Händen wissen und so brachte ich ihn an mich, um euch damit zu ehren.“
Sichtlich erfreutüber die schönen Worte und das schöne Kleid war die Gräfin und folgte so der Ausführung des schlauen Grafen weiter, als er die goldene Kugel ihr überreichte: „Diese Kugel, mein hellster Stern der Nacht, nahm ich einer Prinzessin ab, die damit unachtvoll umging. Ich verkleidete mich als Frosch und setzte mich an den Brunnen im Wald, an dem sie so gerne mit dieser Kugel spielte. Als sie ihr einmal in den Brunnen fiel, nahm ich sie an mich und brachte sie euch, die ihr niemals unachtvoll mit Geschenken umgehen werdet, wie eure Schönheit eines ist.“
Wieder zeigte sich die Gräfin beeindruckt.und geschmeichelt. Der Blick fiel auf die goldene Hare, die der schlaue Graf ihr überreichte und sie lauschte seinen Worten: „Diese Harfe, meine schönste Melodie des Lebens, ist von solch lieblichem und reinem Klang, der nur von eurer Stimme übertroffen wird. Ich nahm sie von einer Sirene, die auf einem Steine draußen an der Küste saß. Wie so viele vor mir sog sie mich in ihren Bann mit ihrem Spiel, doch musste ich nur an euch denken, die ihr so viel schöner seid als ihr und ich konnte mich aus ihrem Bann lösen. Als ich der Sirene von euch berichtete, übergab sie mir ihre Harfe, auf dass ich sie euch bringen und sie ward nie mehr gesehen.“
Vollkommen entzückt von der Schönheit der Geschenke und von den Geschichten verzaubert fiel die Wahl der Gräfin schnell auf den schönen Grafen, dem selbst der starke Graf ein anerkennendes Wort schenkte. Auf dem Turm, den die Geschenke bildeten, ließ sich der Rabe wie auf einem Throne nieder und blickte dem neuen Paar entgegen.
„Mein Versprechen ist gehalten, edler Graf. Doch wie steht es um meinen Lohn? Einen Kuss der Gräfin wünsche ich mir und dann werdet ihr mich nie mehr sehen.“ Sprach der Rabe. Die Gräfin zeigte sich schockiert ob des Tieres, welches einen Kuss von ihr forderte, doch der schlaue Graf war noch immer ein Ehrenmann und so überredete er seine neue Braut den Wunsch zu erfüllen. Diese schritt zögerlich zum Raben hin und beugte sich zu ihm, um ihm einen Hauch eines Kusses auf den Schnabel zu geben.
Die Federn des Vogels begannen abzufallen und auch der Schnabel verschwand. Aus der einstigen Vogelgestalt bildete sich ein Mensch, den die schöne Gräfin sogleich als ihren Geliebten erkannte, den sie schon lange verloren geglaubt hatte. Die Wahl des schlauen Grafen machte sie ungeschehen und so wurde schon bald Hochzeit gefeiert. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.