Einst, vor vielen Hunderten von Jahren, als das alte Reich Ascalon noch stand und blühte, wurde in einer Familie auf dem Lande ein Mädchen geboren. Sie war kein besonderes Kind, sondern nur eines von vielen der Familie, wie es bei einer Bauernfamilie üblich war. Wie alle Mitglieder der Familie, so musste auch das junge Mädchen, welches man Aveline genannt hatte, helfen, um genügend Vorräte und Geld für den Winter zu sammeln. Sie war dabei stets tüchtig und arbeitsam. Jede Aufgabe, die man ihr stellte, erledigte sie gewissenhaft und wuchs im Schoße ihrer Familie wohlbehütet heran. Das Schreiben, Lesen und Rechnen verwehrte man ihr, aber es änderte nichts daran, dass sie mit ihrem einfachen und oft nicht leichtem Leben zufrieden war. Je älter sie wurde, umso mehr Aufgaben stellte man ihr auf dem Hof, vor denen sie sich nicht scheute. Der Tod ihrer Mutter, Aveline war zu diesem Zeitpunkt zwölf Sommer alt, warf sie zwar kurz zurück, vermochte es aber nicht sie vollkommen aus der Bahn zu bringen. Winter auf Sommer folgte und Sommer vergingen, um wieder dem Winter Platz zu machen.
Vor einem der Winter, Aveline war gerade vierzehn Jahre alt , kam ein Tross über den Hof, der nach Einkehr verlangte. Der Tross bestand aus einer edlen Dame, zwei Rittern und einem halben Dutzend Soldaten, alle gekleidet in die Rüstungen, die sie als Kämpfer des Königs auswiesen. Wie es Brauch und Sitte war, tischte die Bauernfamilie die reichhaltigsten und besten Speisen auf, die sie nur auftreiben konnte, ohne dabei darauf zu achten, wie viel ihnen für den Winter bleiben sollte. Auch hierbei half Aveline mit, nicht ohne immer wieder ihre neugierigen Blicke auf die schöne Edeldame hin zu wenden, die nur wenige Sommer mehr als sie selbst gesehen hatte. Als die Speisen zubereitet und aufgetischt waren, entschloss sich Aveline, ein Gespräch mit der Edeldame zu suchen. Kaum war sie an sie herangetreten, erfuhr sie bereits eine Abweisung. Die Edlee wollte nichts mit einem dreckigen und dummen Bauernmädchen zu tun haben, ließ sie sie vehement wissen und trotz dass sich Aveline bemühte, die abweisende Haltung mit Worten und Taten zu durchbrechen, gelang es ihr nicht. Als sie endlich einsah, dass sie keine Chance hatte, ein normales Gespräch mit der Edeldame zu führen, wendete sie sich einem der Ritter zu. Ein junger Mann, etwa im gleichen Alter wie es die Herrin war. Bei diesem erfuhr sie keine abweisende Haltung. Im Gegenteil begrüßte er sie mit herzlichen Worten. So geschah es, dass sie den Abend beieinander verbrachten, mit Gesprächen über das Reich, die Philosophie, die Geschichte und nicht zuletzt das Leben, welches beide führten. Dabei lauschte Aveline gebannt den Erzählungen des jungen Ritters, wie er seine Ausbildung antrat, sie durchlebte und schlussendlich zu dem gemacht wurde, was er war: ein edler Krieger des Reiches Ascalon. Die Worte weckten immer mehr einen Wunsch tief in Aveline. Von diesem zu berichten gelang ihr aber nicht, da sich die Gesellschaft auflöste und man zu Bett ging. Nur schweren Herzens ließ Aveline von den Gesprächen ab, um sich ihr Bett auf dem Heuboden zu suchen, in welches man sie aufgrund des Trosses und der belegten Betten verwies.
Am nächsten Morgen suchte das Bauernmödchen den Ritter, vergeblich. Die Edeldame hatte den Tross dazu bewegt, noch mitten in der Nacht abzureisen, um vom Hof der Familie zu kommen. So blieb Aveline allein zurück, mit dem Samen des Wunsches in ihrem Herzen. Der Winter verging und das Mädchen widmete sich ihrer Arbeit. Im Frühjahr war der Wunsch dann aufgekeimt und nicht selten erwischte sie sich dabei, wie sie sich vorstellte, als Ritter des Königs durch die Lande zu streifen, um Abenteuer zu erleben. Nicht länger konnte sie den Wunsch bei sich behalten und vertraute sich ihrem Vater an. Dieser war empört über ihre Dreistigkeit und Unverschämtheit. Er schalt sie hart und drohte ihr damit, sie vom Hof zu verweisen, wenn sie nicht von ihrem Wunsch abließ und das tat, wozu sie geboren war: einfache Bauernarbeit. Mit viel Gram schwor sie ihrem Vater gegenüber dem Wunsch ab, um auf dem Hof bleiben zu können, doch tat sie es nur aus diesem Grunde, denn sie hatte nicht vor, den Wunsch abzulegen, der sich so fest in ihrem Herzen verankert hatte. Er war zu einem Teil ihres Lebens geworden und wenn sie ihn aufgab, so gab sie ihr Leben auf.
Zum Sommer hin, Aveline hatte gerade ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert, kehrte ihr Bruder zurück, der als Soldat im Dienste des Königs stand. Der erste Weg führte ihn zu seinen Eltern hin, der zweite sogleich zu seiner kleinen Schwester, welche er schon immer sehr gemocht und geliebt hatte. Er betrachtete sie mit einem Lächeln, als er sie seit Jahren wiedersah und bedachte sie liebkosender Worte ihrer Schönheit wegen, obwohl sie nicht wirklich schön sondern nur ein einfaches Bauernmädchen mit dunkelblonden Locken und hellblauen Augen war. Sie scheute nicht davor, ihm sogleich vom Wunsch zu berichten und er lauschte ihr, ohne Vorurteile oder den Zorn, den sie von ihrem Vater zu spüren bekommen hatte. Er lauschte ihr stillschweigend und aufmerksam. Als sie sich das Herz heraus geredet hatte, nahm er sie bei der Hand und führte sie ein wenig ab vom Hofe, zu einem kleinen Tal zwischen zwei Hügeln. Dort übergab er dem Mädchen sein Schwert. Er ließ sie das Gefühl und das Gewicht dessen spüren. Es war nicht der einzige Nachmittag, den sie dort verbrachten. Mit der Zeit stellte Avelines Bruder fest, wie talentiert und begabt seine kleine Schwester mit dem Schwert war. Mit jedem Tag gewann sie mehr Übung und entwickelte sich rasch weiter. Keine Aufgabe, die er ihr stellte, ließ sie unerledigt, trotz dass sie bereits den gesamten Morgen und Vormittag gearbeitet hatte. Stolz wuchs in seinem Herzen heran und Aveline kam ihrem Wunsch einen Schritt näher. Als es kälter wurde, zu kalt um das Training im Freien fortzusetzen, verlegten sie dieses in die Scheune, wobei sie vorsichtig sein mussten um nicht entdeckt zu werden. Es gelang ihnen.
Der Frühling hielt Einzug in Ascalon und Avelines geliebter Bruder wurde an die Front gerufen, damit auch das Schwert, mit welchem sie sich so sehr angefreundet hatte. Sie vermisste das tägliche Training, ließ sich davon aber nicht von ihrer normalen Arbeit abhalten, immerhin sollte ihr Vater nicht merken, dass sie noch immer im Geheimen jenen Wunsch hegte, den er ihr verboten hatte, und den sie sich zu einem Teil bereits erfüllt hatte. Zu ihrem Geburtstag kehrte ihr Bruder wieder. Es war nur ein kurzer Besuch, dafür machte er Aveline den Geburtstag zum schönsten, den sie je hatte. Er vermachte ihr ein eigenes Schwert. Eine dünne Klinge, leicht und gut ausgeglichen, aber scharf wie das Messer eines Jägers. Jenes Schwert sollte zu ihrem größten Schatz werden. Mit der Abreise ihres Bruder nur wenige Tage später begann sie ihr Training wieder, diesmal mit dem eigenen Schwert, welches sie gut versteckt hielt, um es vor den Augen ihres Vaters zu verbergen. Den Sommer über in dem kleinen Tal, wo ihr einst ihr Bruder den Schwertkampf gezeigt hatte und den Winter über in der Scheune, stets im Verborgenen, ohne dabei erspäht zu werden oder auch nur Verdacht zu erwecken.
Der nächste Sommer brach an und mit ihm kam die Kunde eines Turnieres, welches nahe des Forts Ranik abgehalten werden sollte, zu Ehren des Königs und seiner erfolgreichen Schlachtzüge. Der Lohn für den Sieger war Ruhm und Reichtum. Auch die Ritterwürde wurde denen versprochen, die sie noch nicht errungen hatten. Aveline witterte in diesem Turnier ihre Chance, endlich ihren Traum in Erfüllung gehen zu lassen und schlich sich vom Hofe, mitsamt ihres Schwertes. Die Reise bis hin zum Fort dauerte lang und war beschwerlich. Nicht selten war sie kurz davor, aufzugeben oder aber nur entkräftet umzufallen. Trotz aller Widrigkeiten schaffte sie es aber bis hin zum Fort und zum Turnierplatz, noch bevor das Turnier begann. Aveline schritt zur Tat, um sich für das Turnier einzuschreiben, doch erfuhr sie durch die Schreiber nur Hohn und Spott. Wie es sich ein einfaches Mädchen nur wagen könnte zu denken, dass sie an einem Turnier teilnehmen könnte, spotteten sie und dann auch noch ein einfaches Bauernmädchen. Mit Lachen und bösen Flüchen scheuchten sie Aveline hinfort. Niedergeschlagen von ihrem zerstörten Traum, dessen Erfüllung so greifbar nah war, wollte sie den Heimweg wieder antreten, als sie auf jenen Ritter traf, der einst den Wunsch in ihr gepflanzt hatte. Mit Erstaunen fragte dieser, was Aveline beim Turnier suche und sie erzählte ihm alles, was sie in den letzten Jahren erlebt und getan hatte. Er lauschte ihr, ebenso still schweigend und ohne Gram, wie es einst ihr Bruder tat. Als sie mit ihrer Erzählung endete, ließ sich der Ritter von den angepriesenen Talenten überzeugen und stellte fest, dass das junge Bauernmädchen ihn nicht angelogen hatte. Die letzte Überzeugung leistete Aveline aber mit einer anderen Kunst als dem Schwerte, einer, die man eher dem weiblichen Geschlechte zuschreiben würde.
Am nächsten Morgen dann, es war der letzte Tag der Einschreibung, trat der Ritter zum Schreiber, um sich selbst und seinen neuen Knappen in die Turnierliste eintragen zu lassen. Mit dem ersten Schritt, den Aveline auf den Plane tat, durchfuhr sie das Ehrgefühl und die Freude, dass sie es endlich schaffen würde, ihren Traum zu erfüllen, auch wenn noch ein langer und harter Weg vor ihr lag. Die ersten Runden überstand die junge Frau, welche als solche nicht erkennbar war, denn die langen Locken hatte sie sich zu einer männlicheren Frisur gekürzt und die wenige Brust, die sie ohnehin schon hatte, mit Hilfe eines Verbandes abgebunden. Runde um Runde bestritt sie, ohne dabei eine Niederlage einzustecken und schon bald berichtete man von einem jungen Mann, welcher das Schwert wie kein zweiter beherrschte. Selbst ihren Gönner warf sie eigenhändig und ohne den Hauch von Mitleid aus dem Turnier. Dieses Mitleid würde er später erfahren, so dachte sie sich. Tag um Tag, Kampf um Kampf und ihr Arm wollte nicht schwächer, ihre Schwertkunst nicht geringer werden. So geschah es, dass sie es bis in den letzten Kampf schaffte und dem Mann gegenüberstand, welcher als bester Schwertkämpfer des Landes betitelt wurde. Der Kampf sollte vor den Augen des Königs stattfinden. Zu Avelines Unheil drängte ihr Kontrahent darauf, den letzten, entscheidenden Kampf ohne die Tunika und nur mit blanker Brust anzutreten. Dem Drängen gab der König statt, sodass die Maskerade, welche Aveline spielte, zu ihrer Scham und Schande aufgedeckt wurde. Empörung machte sich beim Publikum und auch beim König breit. Die Verwunderung, wie es eine Frau schaffen konnte, so viele fähige und kampferfahrene Männer aus dem Turnier zu werfen, blieb aus. Der König befahl den beiden Kämpfern einen Kampf auf Leben und Tod, wobei er nicht damit rechnete, dass eine Frau einen solchen Kampf überstehen würde. Nur da es der Befehl des Königs war, erklärte sich Avelines Gegner dazu bereit, einen solchen erniedrigenden Kampf auf sich zu nehmen. Geblendet von seiner männlichen und edelmännischen Arroganz tat er den Kampf als ein Leichtes ab. Zu diesem ließ Aveline es aber nicht kommen. Sie wehrte sich mit allem, was sie aufzubieten hatten. Klinge schlug auf Klinge, Parade folgte auf Schlag und Gegenschläge wurden geführt. Wie zwei Raubtiere umkreisten sie einander, in ihrer Fähigkeit vollkommen gleich, um auf die Blöße, den Fehler des anderen zu warten, durch den sie ihr Schwert treiben konnten. Stunde um Stunde verging. Ein Vorteil, den sich Aveline so verschaffte, denn war sie es, die dank ihrer Arbeit auf dem Hofe die größere Ausdauer hatte. Eine Blöße tat sich aufgrund der Müdigkeit auf, durch welche Aveline schlug und ihren Gegenüber so zum Torkeln und zum Fallen brachte. Mit der Spitze des Schwertes an seiner Kehle verharrte sie. Das Leben des Mannes verschonte sie im Namen ihrer Göttin, Dwayna und wendete sich so dem König zu, nur um sogleich von einem Hagel von Pfeilen von einem Dutzend Bögen die auf Befehl des Königs flogen, niedergestreckt zu werden. Ihren letzten Atemzug tat die Junge Frau, die einst als Bauernmädchen begonnen und nun die Siegerin des Turniers geworden war. Man berichtete noch lang von ihrer Dreistigkeit und ihrer Unverschämtheit, brannte den Hof ihrer Familie aufgrund dieses Frevels nieder und tötete alle, die mit ihr verwandt waren oder irgendwie sonst verbunden. Nur einen dieser Menschen verschonte man, im Unwissen über seine Beziehung zu ihr.
Als der König starb, ging die Krone an seinen ältesten Sohn weiter. Jener Ritter, der einst den Wunsch in Avelines Herzen brachte und ihr die Möglichkeit verschaffte, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Er veranlasste, dass ab der Zeit seiner Krönung auch Frauen in den Dienst an der Waffe für den König treten können und das auch sie die Ritterwürde empfangen können. Aveline hingegen erwies er die Ehre und schlug sie noch nach ihrem Tode zum Ritter, zum ersten weiblichen Ritter des Reiches Ascalon. Dort, wo einst das Turnier stattfand, ließ er ihr ein Grabmal und eine Gedenkstätte bauen. Eine Statue war es, die Aveline mit zum Sieg erhobenen Schwert und Pfeil in der Brust darstellte. Auf einem goldenen Schild darunter konnte man in feinen Lettern lesen: „Es kommt nicht auf die Brust an, sondern auf das Herz, welches unter dieser schlägt.“