Des Jägers Beute


10.01.2022

Theoman war ein einfacher Mann, der mit seiner Situation zufrieden war. Nach der Flucht aus seiner Heimat hatte er in den Grizzlyhügeln eine Anstellung als Jäger in der Grafschaft Springberg gefunden. Die Berufung erwählte er sich aufgrund eines Geschenkes seiner Großmutter, welches er noch auf gilneischem Boden erhalten hatte. Ein kunstvoll gearbeitetes Jagdmesser war dies, mit einer ordentlichen, scharfen Klinge und einem aus weißem Knochen bestehendem Heft, welches die Zeichen der Zeit mit sich trug. Als sie ihm dieses Kleinod übergab, sprach sie zu ihm: „Jener Stahl wird oft den Tod bringen, um Leben zu nähren, doch wird er umgekehrt auch dein eigenes Blut vergießen, um Leben zu retten“. Seitdem sie diese Worte zu ihm gesprochen hatte, waren sie fest in seinen Geist eingebrannt. Oftmals träumte er davon. Dann sah er jene greise, vom Alter gekrümmte Frau vor sich mit ihrem liebevollem Lächeln und den hell glänzenden Augen, die die Farbe von frischem Gras im Frühling hatten. Er vermisste sie stets, ebenso wie den Rest seiner Familie, doch war von dieser nichts mehr übrig. Er war allein mit seinem Bogen und dem Messer. Allein in der Jagdhütte tief in den Wäldern.

Eines Tages im späten Herbst begab sich Theoman auf die Jagd. Einen Schaufelhauer verfolgte er bis weit in den Wald hinein. Als er anlegte, um das Tier zu erlegen, stieg aus einer Baumkrone unweit von ihm ein Adler mit einem lauten Schrei hinauf, welcher den Schaufelhauer verschreckte. Fluchend verfolgte er seine Beute in einen Teil des Waldes, den er noch nicht kannte. Es brauchte einige Zeit, bevor er die Fährte sicher wieder aufnehmen konnte, um dieser zu folgen. Durch das Unterholz sich kämpfend fand er die baldige Frucht seiner Jagd. Den Pfeil an die Sehne gelegt visierte er an, nur um neuerlich enttäuscht zu werden. Diesmal war es kein Schrei eines Adlers, der ihm seine Beute streitig machte. Es war der Ruf einer Frauenstimme, welcher es bis auf die kleine Lichtung schaffte. Nach Hilfe rief sie, wobei sie jammernd und wehleidig klang. Die Jagd war somit für Theoman vergessen. Immer wieder hallte der Ruf durch den Wald hindurch, sodass er ihm bis zu einem großem Hügel folgen konnte. In diesem eingelassen fand er eine Tür, die ihn um ein Weites überragte. Aus dem, was auch immer hinter der Tür lag, kam der Schrei der Frau, der einmal mehr nach Hilfe forderte. Die Hände legte er an den Stein der Tür. Mit all seiner Kraft warf er sich dagegen, doch bewegte sie sich dabei kein Stück. Die rohe Kraft würde ihm hierbei nicht helfen. Demnach brauchte es Technik. Einen Stein suchte er sich, den er vor der Tür platzierte, dann einen massiven Ast. Auf den Stein gelegt klemmte er den Ast unter die Tür. Mit seinem gesamten Gewicht stützte er sich auf diesen auf, nur um festzustellen, dass auch die Technik ihm hierbei nicht zum Ziel führen würde. Noch einmal glitten seine Finger über den Stein hinweg. Eine Kerbe fanden sie, gerade dünn genug um die Klinge seines Messers in diese zu führen. Er drückte, drehte und war doch nicht mit Erfolg gesegnet, während die Stimme, die ihn gelockt hatte, leiser wurde. Er befürchtete das Schlimmste.

In diesem Moment waren es die Worte seiner Großmutter, die ihm ans Ohr drangen. Das Messer in seiner Hand drehte er, sodass er die Klinge mit den Fingern umfasste. Der scharfe Stahl schnitt ihm in die Handfläche, als er mit dem Heft voran gegen die Tür klopfte. Tock. Tock. Tock. Mit dem letzten regte sich etwas. Langsam schob sich der Stein zur Seite. Ein Spalt entstand, der breit genug war, um ihn hindurch zu lassen. Mit der blutenden Hand schob er sich ins Innere. Durch ein Loch in der Decke fiel ein Lichtschein auf die Quelle der Hilferufe. Eine junge Frau war es in einem einfachen Kleid, deren Schönheit er noch nicht gesehen hatte. Es war aber nicht das Einzige, was im Licht des Verhängnisses der jungen Frau zu sehen war. Eine Truhe mit goldenem Glanz befand sich ebenso in dem großen Raum. Dennoch galt seine Aufmerksamkeit jener, die ihn erst in die Räumlichkeiten gebracht hatte. Er half ihr auf und begleitete sie aus ihrer Falle hinaus. Schon während des Weges durch den Wald merkten sie, dass sie wie füreinander geschaffen waren.

In der Jagdhütte angekommen ruhten sie für den Rest des Tages, um am nächsten zum Punkt ihrer ersten Begegnung zurückzukehren. Mit einem Schatz kehrten sie zurück, doch hatte Theoman schon am Vortag den größten Schatz gefunden. Seitdem mangelt es dem Mann an nichts mehr. Er hat eine wundervolle Frau und mittlerweile auch Kinder. Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Schatzes hatte er seine Jagdhütte erweitert, auf dass sie müden Reisenden und jenen, die es brauchten, Obdach bieten konnte. Wann immer er es konnte, so ließ er auch andere an seinem Reichtum teilhaben und tut dies auch bis heute noch.