Eine Lagerfeuergeschichte


Als sie wieder aus dem Zelt zurückkehrte, setzte sie sich ohne etwas zu sagen nahe neben ihn auf die Bank, an das Feuer zurück. Die mitgebrachte Flasche drehte sie nach einigen erfolglosen Versuchen auf, gerade als er danach greifen wollte, um ihr zu helfen. Mit einem triumphierendem Grinsen hielt sie die Flasche in seine Richtung hinauf, als wenn sie gerade einen Schatz gefunden hätte und diesen allen präsentieren wollte. Wieder ließ sie sie sinken, um sie an die Lippen zu führen. Mit einem gluckerndem Geräusch nahm sie einen großen Schluck, dann wurde das Mitbringsel an eines der Bankbeine gelehnt auf den Boden gestellt. Sein Blick ging zu ihr und ein Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen, bevor er wieder in das Feuer blickte. Das Züngeln der Flammen hatte etwas beruhigendes. Das leise Knistern erfüllte die angenehme Nacht. Es war gerade so kühl, dass man ein Feuer brauchte, um sich im Freien ohne Weiteres aufhalten zu können. Ihren Kopf lehnte sie an seine Schulter. Kurz sah er aus dem Augenwinkel zu ihr, erwehren wollte er sich dem aber keinesfalls. Zusätzlich zum Feuer war ihre Wärme angenehm, nicht nur der Nähe wegen. Er bevorzugte sie sogar noch mehr als das Feuer.

„Schau an.“, ertönte es von der anderen Seite des Feuers, wo sich zwei andere der Gruppierung gesetzt hatten. Durch die Flammen hindurch war schwer etwas zu erkennen. Er hätte sich zur Seite lehnen müssen, um wirklich Blickkontakt herzustellen, aber dafür war es nun zu spät. Er wollte seiner Nachbarin nicht ihr neu gewonnenes oder viel eher annektiertes Kissen stehlen.

„Was denn?“, fragte er somit über das Feuer hinweg, doch eine Antwort blieb man ihm schuldig. So beließ er es dabei. Immer wieder ging sein Blick aus dem Augenwinkel hin zu ihr. Im Schein des Feuers wirkte ihr ohnehin schon rötliches Haar noch röter. Er mochte diese Farbe. Nein, er mochte sie nicht nur, er liebte sie, ebenso wie die weiße Haut, die sie aufwies. Den Gedanken verdrängte er schnell wieder. Kurz zuckte sein rechter Arm, aber ihn um sie zu legen traute er sich nicht. Nicht nur, weil er damit ebenso hätte ihre Position ändern müssen. Mit einem Lächeln auf den Lippen gab er sich schlussendlich zufrieden.

Während er und seine Nachbarin schwiegen, wurde auf der anderen Seite des Feuer getuschelt. Um was es genau ging, das konnte er nicht vernehmen. Noch nicht einmal Wortfetzen drangen bis zu ihm hinüber. Daran war das Knistern des Feuers ebenso schuld wie die Lautstärke, die die anderen wählten. Irgendwas sagte ihm, dass sie über ihn sprachen. Warum sollte er sich aber daran stören? Er genoss gerade einen der schönsten Momente seines sonst so glücklosen Lebens. Sie regte sich etwas, wodurch sein Arm frei wurde. All seinen Mut nahm er zusammen, um ihn ihr einfach um die Schultern zu legen, was sie mit einem Lächeln quittierte. Es wirkte, als hätte sie genau das gewollt. Ein erleichtertes Aufatmen unterdrückte er. Das Lächeln wurde erwidert. Die Bewegungen auf der anderen Seite des Feuers ließen ihn allerdings seine Aufmerksamkeit dorthin wenden. Die beiden Gestalten kamen um das Feuer herum, wobei sie riesige Schatten in die Landschaft warfen.

„Wir werden uns noch ein wenig die Füße vertreten.“, verkündete der ältere der beiden Männer mit einem ruhigen Ton. Der andere Mann nickte daraufhin nur und noch bevor er ihnen beiden eine Antwort geben konnte, verschwanden sie schon in seinem Rücken. Ein Nachblicken vermied er.

„Lass sie gehen. Die sind wahrscheinlich nur eifersüchtig.“, erklang die ruhige, helle und weiche Stimme von seiner Schulter im Scherz. Wahrscheinlich lag sie damit aber noch nicht einmal so falsch.

„Wahrscheinlich. Oder sie müssen einfach noch einmal auf die Toilette.“

„Wie das bei alten Männern so üblich ist.“, war die freche Erwiderung, die ihn zum Auflachen brachte. Unweigerlich drückte er sie einmal an sich, ehe sich die Haltung des Armes wieder entspannte.

„So viel älter als ich sind sie auch nicht. Du bist hier immerhin das Küken.“, meinte er ruhig, ein Schmunzeln dabei auf den Lippen. Wahrlich war sie jünger, um einiges sogar als er, aber im Moment störte es ihn nicht.

„Dafür bist du im Kopf jung geblieben, ohne doof zu sein. Das schaffen auch nicht viele.“, erklärte sie, ohne sich dabei zu regen. Ihr gesamtes Gewicht lehnte sie gegen ihn. Es war ein angenehmes Gefühl.

„Ich gebe mir Mühe.“

„Auch wenn du bei einigen Dingen ein alter Opa bist.“, fügte sie dann noch hinzu, wieder in ihrer frechen Art, die ihn zum Auflachen brachte. Den Kopf hob sie, sodass sie ihn angrinsen konnte. Die Blicke trafen sich. So verharrten sie einige Momente.

„Prüfst du nun, ob du die Windeln wechseln musst?“, stieg er auf den Scherz mit ein. Den Arm ließ er an ihrem Rücken hinabgleiten, sodass sie mehr Bewegungsspielraum hatte. Den Kopf schüttelte sie. Dann kam ihr Gesicht dem seinen um einiges näher, sodass er ihren Atem spüren konnte. Im ersten Moment wollte er zurückweichen, doch warum sollte er dies tun? Sie hatte mit Sicherheit keine böse Absicht.

„Nein, ich überlege nur, ob sie lange genug weg sind.“, hauchte sie, dann spürte er auch schon, wie ihre Lippen nach den seinen haschten. Das ungewohnte Gefühl eines Kusses. Er gab sich alle Mühe, diesen zu erwidern. Ob es ihm gelang, dabei war er sich nicht sicher, aber sie zog sich nicht zurück und dies beruhigte ihn. Einige Momente genossen sie das Gefühl, dann löste sie den Kuss, um ihn anzulächeln. Im Schein des Feuers glänzten ihre Augen noch mehr als sonst schon. Augen, bei deren Anstarren er sich schon mehrmals einmal erwischt hatte. Unvermittelt erhob sie sich von der Bank und griff in der gleichen Bewegung nach seiner Hand. Eine Geste, gegen die er sich nicht wehrte, und als sie Anstalten machte, ihn von der Bank zu ziehen, erhob er sich ebenso. Flink wendete sie sich herum. Man hörte noch, wie etwas umfiel. Dann zog sie ihn einfach hinter sich her, in die Dunkelheit des Zeltes hinein, in dem sie beide schliefen. Das Wasser aus der umgefallenen Flasche versickerte derweil im Boden. Hier würde neues Leben entstehen.