11.11.2022 (Ursprung 18.01.2018)
Stell dir vor, du bist in einer Höhle. Ein Pfad führt durch diese hindurch, erhellt von Fackeln an den Wänden, die ein sanftes, flackerndes Licht spenden. Dies ist dein Leben. In weiter Ferne kannst du das Ziel erkennen, welches du dir auserwählt hast. Verheißungsvoll leuchtet es dir entgegen. Langsam gehst du weiter. Noch ist der Pfad breit genug, dass du bequem darauf gehen kannst, doch bald schon wird er dünner. So schmal, dass du seitwärts gehen musst, während links und rechts kleine Steine in den Abgrund rieseln. Plötzlich wird dein Weg unterbrochen. Ein großes Stück fehlt, sodass du nicht weiter voran gehen kannst. Diese Kluft stellt eine schlechte Lebenslage dar.
Die Kluft ist zwar groß, doch nicht groß genug, als dass du sie nicht überspringen könntest. Dafür musst du allerdings all deinen Mut zusammen nehmen und darauf hoffen, dass du unbeschadet auf der anderen Seite ankommst und nicht hinab in das Dunkel fällst, welches das Gebilde umgibt, hungrig lauernd. Eine kurze, enorme Anstrengung wird es dafür brauchen, doch dann kannst du auf deinen einstigen Weg zurückkehren.
Auf der anderen Seite kannst du Bewegung erkennen. Eine Person tritt aus dem Schatten in das Licht. Sie ist dir wohlbekannt. Ein Freund ist es, der sich dir dort zeigt. Seine Hand streckt er dir entgegen, um dir über die Kluft hinweg zu helfen. Du musst sie nur ergreifen. Viele Mühen wird sie dir ersparen, um das Hindernis zu überwinden, doch wird sie dir nicht all die Anstrengung abnehmen. Auch hierfür braucht es Mut und Überwindung, denn immerhin könntest du ihn bei einem zu kurzem Sprung mit in den Abgrund ziehen.
Zu deiner rechten Hand eröffnet sich ein weiterer Weg, der von deinem eigentlichen abführt, doch mit dem du das Hindernis umgehen kannst. Einem Seiltanz gleich musst du über einen schmalen Grat wandern, um diesen Weg zu erreichen. Dieser schmale Grat stellt Veränderungen dar, die du durchlaufen musst, neue Ziele, die du dir setzt, um dein eigentliches doch noch zu erreichen.
Zu deiner linken Hand befindet sich ein zweiter Pfad. Er ist breit genug, dass du bequem darauf gehen kannst, doch siehst du, dass er sich weit erstreckt. In vielen Kurven verläuft er, bis er das Hindernis vor dir überwindet. Ein langer, anstrengender Weg, den es zu gehen gilt, um das Ziel zu erreichen, ohne sich dafür verändern zu müssen.
Eine letzte Möglichkeit ist es, in das Schwarz hinab zu steigen. Deine mentale und körperliche Belastbarkeit wird damit auf die Probe gestellt. Du verfällst vielleicht in Depressionen, verlierst all deine Hoffnungen, ziehst dich zurück und bist nicht mehr offen für andere. Vielleicht blickst du sogar dem Tod ins Auge. Doch wo es hinab geht, dort geht es irgendwo auch wieder hinauf. Dieser Abgrund ist eine ganz eigene Welt. Du wirst auf Personen treffen, die ebenso durch ihn gehen. Sie teilen dein Schicksal. Ihr Ohr werden sie dir leihen, wenn auch du ihnen zuhörst. Ebenso wirst du helfende Hände gereicht bekommen, die sich ganz freiwillig in die Dunkelheit begeben haben, um Menschen wie dich aus ihr zu befreien. Du musst dich nur trauen, sie zu ergreifen. Es ist keine Schwäche, nach Unterstützung zu bitten, nur ein Beweis von Einsicht. Wenn du dann auf der anderen Seite des Abgrundes auf deinen Weg zurück kletterst, wirst du stärker als jemals noch zuvor sein.
Dies alles sind Möglichkeiten, den Abgrund zu überqueren, um dein Ziel zu erreichen. Dafür bedarf es Mut, Hoffnung, Glauben und Selbstvertrauen. Natürlich kannst du auch einfach vor ihm stehen bleiben. Damit hörst du auf, dich weiter zu entwickeln. Dein Ziel wirst du damit nicht erreichen, aber du wirst weiterhin leben. Du könntest allerdings auch den Weg, den du gegangen bist, wieder zurückgehen, um dich in deiner Vergangenheit zu verlieren. Der Zukunft kehrst du dadurch den Rücken. Oder du springst in den Abgrund. Du gehst freiwillig in den Tod, wie es viele schon vor dir getan haben. Zu viele, wie der Friedhof beweist, der sich neben dir auf einer kleinen Insel inmitten des Schwarz befindet. Auf den Grabsteinen steht eine unzählige Zahl von Namen und Daten. Manche von ihnen hatten kaum das, was man ein Leben nennen kann, wenn man die Spanne betrachtet.
Also, wähle deinen Weg. Blicke voran, fasse Mut und gehe weiter, denn so tief der Abgrund auch ist, man kann ihn überwinden, um am anderen Ende Erfüllung zu finden.