18.01.2022
Der erste Hornstoß erklang. Das Zeichen, dass der Moment der Rückeroberung begonnen hatte. Sein Zeichen war es allerdings nicht. Ein Blick nach links und rechts zeigte ihm seine Brüder, die eng an eng standen, die Schilde noch locker am Arm hängend. Ein Wort würde genügen und sie würden diese heben, um voran zu marschieren. So weit er den Kopf unter dem Helm drehen konnte, tat er dies auch, gerade weit genug, um im Augenwinkel noch die junge Frau erkennen zu können, die sich dicht hinter ihnen befand. Wie auch er trug sie den weißen Adler auf himmelblauem Grund auf der Brust. Im Gegensatz zu ihren in Platte gehüllten Begleitern war sie in eine mit Leder verstärkte Robe gekleidet, lederne Handschuhe und Schulterpolster komplettierten das Bild. Das braune Haar, welches etwas kraus wirkte, hatte sie zu einem festen Zopf gebunden, dass es ihr nicht ins die Augen hängen konnte, wenn sie es am wenigsten brauchte. Auch wenn ihr Gesicht zeigte, dass sie jung an Jahren war, so wirkte ihr Blick doch entschlossen. Den seinen fing sie auf. Ein Nicken beider Seiten symbolisierte die Bereitschaft.
Sein Augenmerk richtete er nach vorn, hin auf die bröckelige mauer, die vor ihnen lag. Einst hatte sie die Stadt mit einem schützenden Mantel eingehüllt, nun war sie jedoch gebrochen und ließ jene hindurch, die es sich wagten. Hinter den massiven Wänden aus Stein konnte man Rauch aufsteigen sehen. Von einem Späher hatte man vernommen, dass die Besetzer der Stadt damit begonnen hatten, die errichteten Barrikaden in Brand zu setzen, um den Rückerobern ein Hindernis mehr in den Weg zu werfen. Ob es zu diesem werden würde, würde sich zeigen müssen.
Die Geräusche des Kampfes drangen dumpf durch den Helm hindurch an sein Ohr. Seinen Kopf drehte er nicht. Er wusste, dass man die Türme, nach denen man verschiedene Stoßtrupps gesandt hatte, rasch einnehmen würde. Erst dann war die Zeit für den Angriff der Hauptstreitmacht. Bis dahin würden sie sich noch gedulden müssen. Das leise Rascheln des Kettenhemdes seines Nebenmannes mischte sich in den Kampfeslärm hinein. Man hörte den Sang von Schwertern, die auf Schwerter treffen, surrende Pfeile und gar Explosionen konnte man vernehmen. Zweifelsohne waren sie magischen Ursprungs. Wie auch seinen Trupp, so hatte Magus Kronberg die anderen mit jeweils einem Magier ausgestattet, um die Schlagkraft zu erhöhen. Die junge Rebecca Fandrey hinter ihm war diesem Umstand geschuldet. Ihr Schutz hatte oberste Priorität. Zwar hatte er schon gesehen, dass auch ein Magier sich zu verteidigen wusste, doch würden sie unter dem Ansturm und der Anstrengung in die Knie gehen. Dies von ihr fern zu halten war mitunter ihre Aufgabe.
Endlos schienen die Momente, die ins Land strichen. Ein Blick nach links offenbarte ihm ein gehisstes Banner. Jenes Ravenports war es, welches man als Zeichen der erfolgreichen Übernahme am Turm gehisst hatte. Damit waren es nur noch zwei. Fester packte er das Schwert in seiner Hand. Das Handgelenk ließ er leicht kreisen, um es zu lockern. Er würde es heute noch brauchen. Ein Ruf lenkte seinen Blick hin zur rechten Seite. Der weiße Adler flog durch den Himmel über einem der Türme. Das Banner Sheppards war gehisst. Nun war es nur noch der entfernteste Turm, der genommen werden musste.
„Bereit machen!“, gab er lautstark Befehl. Wie seine Kameraden hob er den Schild mit einem Klacken eng an den Brustpanzer heran. Das Schwert blieb mit der Spitze noch gen des Bodens gestreckt. Er würde es erst auf den Schildwall legen, sobald es den Befehl zum Voranschreiten gab. Weitere lange Augenblicke vergingen. Diesmal musste er nicht sehen, ob das Banner über dem letzten Turm wehte. Der Hornstoß war das Zeichen, den Hauptangriff zu beginnen.
„Vorwärts!“, folgte der nächste Befehl. Im Gleichschritt begannen sie voran zu marschieren. Der Stadtmauer näherten sie sich Schritt um Schritt. Ihre Stiefel hinterließen tiefe Spuren im Schnee, der die letzten Tage gefallen war. Bis weit über den Knöchel hinweg reichte er, darum war es umso wichtiger, dass sie Vorsicht walten ließen. Ihren Vormarsch durfte dies nicht stoppen. Dies tat es auch nicht. Langsam näherten sie sich dem, was von der Stadtmauer übrig geblieben war. Wo auch immer sich ein Hindernis ergab, riss der Schildwall für den Moment auf, um es zu überwinden und schloss sich dahinter wieder, als wäre er Wasser, welcher über einen spitzen Stein floss, nur um sich direkt dahinter wieder zu verbinden. Die Bresche war groß genug, dass sie im geschlossenen Verband hindurch marschieren konnten. Thalassische Worte drangen an sein Ohr. Fandrey war es, die hinter ihm die ersten Zauber vorbereitete. Es war ungewohnt, im Verband mit einer Magierin zu kämpfen. Die Zeit in der Grafschaft Springberg hatte ihm jedoch gezeigt, wie wichtig Magier waren. Sie waren nicht da, um ihnen ihre Aufgaben abzunehmen, sondern um sie zu ergänzen, sodass sie die Aufgaben besser und vor allem verlustärmer bewältigen konnten. Einige Reste von Holz trat er mit dem Fuß zur Seite. Sein Nebenmann ließ sie unter seinem Stiefel zerbersten.
Die Bresche überwunden fanden sie sich in einer Nebenstraße. Die Stadtpläne hatte man ihnen zuvor zum Studium überlassen. So wusste er, dass es einige kleinere Gassen gab, in denen man sich ohne Weiteres verbergen konnte.
„Schutzformation!“, brüllte er. Die Seiten des Schildwalles klappten zu den Seiten weg, um auch die Flanken abzudecken. Den Rückraum überließ man der Magierin. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm den leichten Schimmer, der diese umgab. Die Augen funkelten im arkanen Schein, während sie angestrengt und konzentriert wirkte. Zwar unterstand sie seinem Befehl, doch war er mit der Magie zu wenig vertraut, als dass er direkte Anweisungen für sie geben konnte. Er vertraute darauf, dass wusste, was sie tat.
Weiter voran arbeiteten sie sich durch die Straßen. Je mehr sie gen des Stadtzentrums kamen, desto häufiger zeigten sich blutige Spuren im Schnee. Leichen jedoch waren nur wenige zu sehen. Er vermutete, dass die Schneedecke sie unter sich begraben hatten, direkt dort, wo sie niedergegangen waren. Um eine Ecke bogen sie. Vor ihnen zeigte sich eine provisorisch aufgebaute Barrikade aus halbhohen Kisten. Die Flammen hatten sich schon durch einen großen Teil hindurch gefressen. Der Rauch lag schwer auf der Stelle uud nahm ihnen die Sicht. Der perfekte Ort für einen Hinterhalt.
„Aufpassen! Langsamer voran!“, ließ er erklingen. Der Schritt des Trupps verlangsamte sich etwas, während sie sich auf die flammende Barrikade zu begaben. Zu seiner rechten vernahm er einen Kampfschrei. Aus einer Seitengasse kamen drei leicht gerüstete Söldner. Ihre Bewaffnung und ihre Erscheinung war miserabel. Auf den Schildwall ließ man sie prallen. Es war kein Grund die Formation zu brechen. Disziplin war der größte Schild. Nach einigen Schwertstreichen waren die Angreifer erledigt. Kaum dass sie zu Boden gegangen waren, setzte sich der Schildwall in Bewegung. Als sie noch etwa fünfzig Schritt von der Barrikade trennten, erklangen thalassische Worte. Er konnte antizipieren, was das Vorhaben der Magierin war.
„Schildwall brechen!“, sprach er zum Nebenmann. Zwischen ihm und diesem bildete sich einen Spalt in den Schilden, gerade breit genug, um die arkane Kugel der Magierin hindurch zu lassen. Kurz darauf schloss sich der Schildwall auch schon wieder. Einen Lidschlag später hörte man das Einschlagen der arkanen Kugel. Nicht nur, dass sie die Barrikade zerfetzte, sie zerriss auch den Schleier aus Rauch. Schmerzensschreie konnte man hören. Hinter der Barrikade hatten sich einige Söldner verborgen. Jene, die davon noch übrig waren, nahmen ihren Mut zusammen. Ein halbes Dutzend war es, welches mit erhobenen Äxten und Kolben auf sie zu rannte. Drei von ihnen fielen bereits auf dem Weg, als arkane Kugeln, wesentlich kleiner als es die vorige war, in ihren Körpern einschlugen, sodass sie mit dem Gesicht im Schnee landeten. Einer der drei hatte es genau auf ihn abgesehen. Der über den Kopf geschwungene Kolben wurde mit dem Schwert abgefangen. Jeweils eine Klinge von links und rechts bohrten sich dann in die Gedärme des Angreifers. Sofort zogen sie sich wieder zurück. Die zwei anderen Söldner hatten kein besseres Los gezogen. Wie das Korn eienr Sense, so fielen sie den Schwertern des Schildwalles zum Opfer. Über sie hinweg stiegen sie, um sich mehr in das Zentrum der Stadt zu begeben.
Hundert Schritt später zeigte sich eine neuerliche Barrikade, allerdings hatte sie bereits länger in Flammen gestanden, sodass das Feuer nicht mehr viel über gelassen hatte, was ihnen hinderlich sein konnte. Die Rauchentwicklung reichte dennoch, um sich darin zu verbergen. Einen Schemen konnte er im Qualm nicht erkennen. Das Risiko eingehen wollte er nicht.
„Fandrey!“, rief er aus und schon mit dem gesprochenen Namen öffnete sein Nebenmann den Schildwall. Kurz darauf war es eine weitere arkane Kugel, die hindurch schlug.
„Gewehre!“, ließ er das nächste Wort folgen. Sein eigenes Schwert gescheidet griff er nach der Feuerwaffe, die an seinem Gürtel fertig geladen hing, um sie durch einen Spalt des Schildwalls zu schieben. Vor der Barrikade sank die arkane Kugel wuchtig in den Boden. Die Druckwelle vertrieb den Rauch, sodass sich das freie Feld dahinter zeigte. Einen Schuss feuerten sie aus diesem Grunde nicht ab.
„Weiter!“, kommandierte er. Das Schießeisen wieder am Gürtel befestigt, zog er das Schwert. Mit der flachen Seite schlug er einmal auf die obere Schildkante. Das Zeichen, sich in Bewegung zu setzen. Die Stiefel des Trupps schoben sich weiter durch den Schnee. Die Nebenstraße vereinigte sich mit einer der Hauptstraßen Als sie um die Häuserecke kamen, zeigte sich vor ihnen das Feld eines Kampfes. Sheppardsche Truppen waren es. Es wirkte, als wären sie in einen Hinterhalt geraten, denn sowohl vor als auch hinter ihnen befand sich eine gute Zahl an Söldnern.
„Schildwall brechen! Anstürmen! Für Tradition und Familie!“, übertönte seine Stimme den Kampfeslärm, um seinen Truppen den Befehl zum Vormarsch zu geben. Die Schilde lösten sich ebenso wie die Schultern voneinander. Die Schritte beschleunigten sich. Dort, wo man die Söldner durch den Ruf nicht gewarnt hatte, wurden sie zwischen den Schwertern der weißen Adler zermalmt. Jener vor Jonathan hatte sich umgewendet. Einen Gegner schien er bis dahin nicht gehabt zu haben. In seiner Lederrüstung konnte er sich nicht des puren Gewichtes erwehren, welches gegen ihn gewendet wurde. Mit einem Schlag des Schwertes wehrte der sheppardsche Streiter den Axthieb knapp zur Seite ab, um den schweren Schild gen des Kopfes donnern zu lassen. Deutlich war das Bersten von Knochen zu hören. Nur ein roter Fleck am Schild blieb über, als der Söldner zu Boden sank.
„Mulcahy! Danke.“, erklang eine vertraute Stimme aus den vorderen Reihen. Einer der Offiziere war es, der ebenso wie Jonathan einen kleinen Trupp durch die Straßen dirigierte. Ein Schlag mit dem Schwert gen des eigenen Schildes schickte er ihm zur Erwiderung des Dankes entgegen. Da nach vorn abgesichert war, drehte er sich um. Zufrieden stellte er fest, dass sich Fandrey sicher zwischen vier der schwer gerüsteten Männer befand. Schon vor Eintritt in den Kampf hatte er sie abgestellt, um im Falle eines Vorstoßes die Magierin abzusichern.
„Weiter!“, hörte er die Stimme des anderen Offiziers, der seine Truppen weiter gen des Stadtzentrums bewegte.
„Sammeln!“, gab er seinem eigenen Trupp Anweisung. Die Magierin diente als Sammelpunkt. So vereinte sich das eiserne Dutzend wieder, die Schilde wachsam erhoben. Die junge Frau, deren normale, dunkelgrüne Augenfarbe sich zeigte, nickte dem Truppführer als Zeichen des Wohlergehens zu. Die Straßen hinter ihnen waren sicher. Der Weg würde also nach vorn führen, als Verstärkung des vorangegangenen Trupps. Gerade als er den Befehl geben wollte, bemerkte er etwas aus dem Augenwinkel. Ruckartig wi der Kopf eines Vogels wendete sich der seine um. Wäre ein Teil des Schnees nicht durch das Blut rot gefärbt gewesen, hätte sich die Krähe, die auf einer Verwehung saß, perfekt in diesem tarnen können, denn ihr Gefieder war von einer schneeweißen Farbe. Als hätte sie ihren Beobachter bemerkt, machte sie einen Hopser von der Schneeverwehung hinab. Statt sich ins Freie zu begeben, drückte sie sich durch den Spalt, den ein geborstener Türrahmen gerade so als Eingang hinterließ.
„Jon?“, erklang es fragend von einem seiner Männer. Die rechte Hand hob er, um ihm zu symbolisieren, dass er ruhig sein sollte. Kein weiteres Wort kam mehr von ihm. Langsamen Schrittes begab er sich auf das Haus zu, in welchem die weiße Krähe verschwunden war. Das Licht zeigte nur wenig des Innenraumes hinter den in den Türrahmen gestürzten Balken. Ein beherzter Tritt änderte dies. Mit einer Wolke aus Splittern und Steinstaub schossen die Reste des Trägerwerkes in den dahinter liegenden Raum hinein. Die Augen engte er, um mehr erkennen zu können, nur um sie im nächsten Moment zusammen zu kneifen. Die Hand Fandreys streckte sich an ihm vorbei, im Inneren eine kleine Kugel schimmernden Arkans, welches Licht spendete. Nach einigen Malen des Blinzelns hatte er die Punkte in der Sicht vertrieben. Sein Blick ging wachsam durch den verwüsteten Raum. Einen Tresen konnte man erkennen, hinter dem große Schränke sich bis zur Decke erhoben. Auch die restlichen Wände waren mit solch Vorrichtung ausgekleidet. Es schien sich um einen Laden gehandelt zu haben. Was er genau verkaufte, das konnte er nicht sagen.
Einen Schritt hinein setzte er. Der mit Dielen verkleidete Boden knarzte unter seinen schweren Stiefeln. Noch einen Schritt mehr machte er hinein. Vorsichtig war er dabei, immerhin konnte man nicht wissen, wie sehr der Boden in Mitleidenschaft gezogen war. Ein Einbrechen in diesen wollte er vermeiden. Auch die Magierin folgte ihm, sodass er durch den Laden sehen konnte. Der eigentliche Grund seines Eintreten war nicht mehr zu sehen. Kein weißes Gefieder, keine weiße Feder oder gar eine Spur der Krähe konnte er erkennen. Dafür etwas hinter dem Tresen, was ihm seltsam erschien. Einer der Schränke war leicht nach vorn gerückt aber ansonsten unangetastet, im Gegensatz zu jenen daneben.
„Seltsam.“, sprach er leise vor sich hin. Den Tresen oder eher das, was davon übrig war, umrundete er, um dahinter zu gelangen. Das Schwert gescheidet packte er das Regal an einer Seite. Das Rütteln daran offenbarte ihm, dass es an einer Seite locker war. Nach einem kurzen Sammeln riss er daran. Ein Stück weiter in seine Richtung bewegte sich das Mobiliar. Es war nicht nur dieses, welches er bewegte, sondern auch gleich die Wand dahinter mit. Eine Geheimtür. Noch einige Rucke, dann öffnete sich diese so weit, dass er hindurch gleiten konnte. Auf dem Absatz einer schmalen Treppe befand er sich. Der Abgang lag ihm Dunkel. Jedenfalls bis die arkane Kugel der Magierin an ihm vorüber schwebte, um ihm Licht zu machen. Da sie es selbst nicht konnte, schickte sie ihre Magie voraus. Ein dankbares, kurzes Nicken, dafür reichte noch die Zeit, bevor er die Stufen nahm. Nicht nur einmal schabte dabei der Schild an der Wand entlang. Für gerüstete Männer war diese Treppe nicht erbaut worden. Zwei Schritt führte die Treppe unter die Erde. Einen kleinen Raum machte sie somit betretbar, in dem einige Fässer, Kisten und auch ein größeres Regal stand, wie er dank der Beleuchtung feststellte. Das Ungewöhnlichste war jedoch ein Sack, der im Gegensatz zum aufgeräumten Eindruck achtlos auf dem Boden lag. Näher an diesen heran trat er, um davor ein Stück weit in die Knie zu gehen. Langsam hob er den festen. Was sich ihm darunter zeigte, ließ ihn einmal den Atem scharf einziehen. Es war eine Leiche. Die einer jungen Frau. Dank des schon längeren Ablebens war ihre Haut weiß , wie es der Schnee war. Der teuer wirkende Stoff eines vormaligen Kleides hing wie Lumpen an ihr. Jedenfalls dachte er, dass sie tot war. Ein Blick auf die kaum bedeckte Brust verriet ihm, dass sie noch atmete. Ganz flach und langsam, aber sie lebte. In das fein geschnittene Gesicht blickte er, welches umgeben war von rotblondem, von Ruß und Dreck verkrustetem Haar. Es war ein Wunder, dass sie noch nicht tot war. Seine plattene Hand legte er an ihre Wange. Genau in diesem Moment riss sie die Augen auf. Von einem eisigen Blau waren diese, dass es einem frösteln konnte, wären da nicht die grünen Sprenkel, die sie durchzogen wie Inseln in einem Eismeer. Sie starrte ihn an für lange Momente, dann bewegten sich lautlos ihre Lippen.
„Ich bin hier um euch zu helfen.“, wisperte er mit versucht sanfter Stimme, was ihm in dieser Situation nicht recht zu gelingen vermochte. Die zierliche Hand packte ihn am Handgelenk. Näher beuge er sich zu ihr.
„Sie kommen.“, sprach sie noch, bevor sich ihre Augen wieder schlossen. Die Hand sank leblos hinab. Dort, wo sie ihn gegriffen hatte, konnte er einen sanften Schimmer auf der Rüstung erkennen. Von einem warmen, gelblichem Schein war dieser. Noch etwas tiefer beugte er sich. Ganz leise konnte er den Atem hören, den sie ausstieß. Sie lebte. Ein zweites Mal zu seinem Erstaunen.
„Jon!“, erklang ein Ruf von oben, der ihn sogleich sich aufrichten ließ. Hier war sie sicher. Die Treppen hinauf marschierte er, wobei das Holz sich mit einem wehleidigen Knarzen bedankte. Rebecca hatte den Verkaufsraum schon verlassen. Auch er trat in das freie. Um den Eingang hatte das Dutzend einen Halbkreis mit den Schilden gebildet. In der Mitte der Straße gab es Bewegung. Dort, wo sie noch immer gestanden hätten, wären sei nicht an das Haus heran gegangen, brach die Schneedecke auf. Hände brachen hervor, die sich einen Weg an die Oberfläche suchten. Auch die Leichen, die auf dem gefrorenem Weiß lagen, regten sich wieder. Untote. Sogleich drückte er sich in den Schildwall hinein.
„Standhalten, Männer!“, motivierte er seine Schwertbrüder. Das Schwert gezogen legte er es auf die Schildkante auf. Der Schimmer, der sich zuvor noch auf seinem Rüstteil befunden hatte, glitt wie ein Feuer hin zur Hand, dann gen des Schwertes in dieser. In einen kaum wahrnehmbaren Schein tauchte es sie. Lichtmagie, dem war er sich in diesem Moment sicher. Im nächsten Moment prallte schon die erste Horde an Untoten auf den Schildwall. Kraftvoll drückte er die wandelnde Leiche eines alten Mannes von sich, um ihm dann das Schwert zielsicher in den Kopf zu stoßen. Als würde es sich in das unheilige Fleisch brennen, glitt der Stahl hindurch, sodass er kaum Mühe dabei hatte, ihn zurückzuziehen. Gerade noch rechtzeitig war es, um den Schild wieder ordentlich zu heben. Der Schlag des Kolbens eines untoten Söldners ließ seinen Arm erzittern, doch hielt er ihm stand. Ein Schlag von schräg oben spaltete den Kopf des Angreifers nahezu in zwei Hälften. Nun endgültig leblos floss er von seinem Schild hinab. Mit der Wand in ihrem Rücken konnte sie nicht umzingelt werden, sodass sie sich vollkommen auf den Kampf vor sich konzentrieren konnten. Eine weitere Welle der Untoten brandete gegen den Wall au Holz und Stahl, um zu brechen. Ein gezielter Stich gen der Kehle machte dem nächsten Gegner unschädlich. Eine große Zahl von ihnen würde noch folgen. Die große Anzahl ließ darauf schließen, dass sich hier ein Großteil des Eroberungskampfes abgespielt hatte. Gerade als er einem weiteren Untoten den Schild wuchtig gegen den Kopf schlug, um ihn nach hinten zu treiben, schlug im hinteren Teil der Traube etwas ein. Teile flogen davon, die einst menschlich waren. Ein kurzer Blick nach hinten zeigte ihm, woher dies kam. Fandrey hatte sich in das obere Geschoss des Hauses begeben. Durch das Fenster hindurch ließ sie arkanen Beschuss auf die untote Horde regnen. Damit waren sie zumindest etwas entlastet. Es war kein Kampf, der ihre Stärke testen würde, sondern ihre Ausdauer. Davon hatten sie genug. Diesen Teil der Straße würden sie gegen die Wiederauferstandenen halten.
So schnell er es konnte setzte er einen Fuß vor den anderen, um in Richtung des gewiesenen, provisorisch eingerichteten Lazaretts zu schreiten. Es war mittlerweile weit nach Mitternacht. Der Kampf hatte endlich ein Ende gefunden. Eine gefühlte Tausendschaft an Untoten hatte ihren Platz vor dem Haus gepflastert. Keiner seiner Männer war gefallen. Einige kleinere Verwundungen gab es zwar, doch waren sie nicht von Belang. Nichts, was sie nicht aushalten würden. Anders als die Frau, die er auf Armen trug. Den Stoff, der den Eingang verbarg, schob er halbherzig mit der Schulter zur Seite, um sich ins Innere zu begeben. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich an das helle Licht der aufgebauten Lampen zu gewöhnen. Als sie es hatten, sah er auch schon in ein bekanntes Gesicht. Silberblaue Augen blickten erst ihm streng entgegen. Den Helm hatte er schon vor einiger Zeit einem Kameraden überlassen, sodass er besser atmen konnte. Das braune Haar mit dem roten Stich hing ihm nass in die Stirn.
„Ich habe nichts abbekommen, Alanna.“, versicherte er ihr. Es reichte, um sie verstehen zu lassen. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um. Er folgte ihr hin zu einer freien Pritsche, auf der er die Frau auf seinen Armen bettete, als könnte die kleinste Erschütterung sie zerbrechen. An der Blässe hatte sich nichts geändert, glücklicherweise aber auch nichts am Atem. Seine Schwester machte sich gleich daran, die üblichen Schritte durchzuführen, wobei sie auch eine Decke über die Patientin schlug.
„Unterernährt, unterkühlt und krank. Sie ist sehr schwach. Was sie genau hat, kann ich aber nicht sagen.“, stellte sie nach einigen weiteren Handgriffen fest. Ihren Blick richtete sie wieder auf ihn. Ohne etwas zu sagen trieb sie ihn damit einige Schritte zurück. Die Erschöpfung machte sich immer mehr in ihm breit. Wie auch seinen Helm, so hatte er den Schild einem Kameraden überlassen. Das zusätzliche Gewicht hätte ihn nur gestört und in diesem Moment noch dazu weiter ermüdet. An ihm vorbei trat die Rothaarige, die um einiges kleiner war als er. An einen Tisch trat sie, um einige Sachen zu holen. Mit diesen in der Hand ging sie an ihm vorüber.
„Du stehst im Weg.“, ließ sie ihn dabei wissen. Genug Platz hatte sie, um sich zu bewegen, dem war er sich sicher. Ein Blick rundherum unterstrich diese Annahme. Es war eines der Lagerhäuser, welches man als Lazarett nutzte. Es gab genügend Raum. Glücklicherweise gab es nicht viele Verletzte, zwischen denen die Ärzte gingen, um ihnen bestmöglich zu helfen. Als er seinen Kopf wieder zu Alanna drehte, war es genau rechtzeitig, um auf das Gefäß zu sehen, welches sie ihm entgegen hielt. Fragend sah er sie an.
„Trinken.“, kam es von ihr. Der Ton war fordernd und einschüchternd. Selbst bei den Offizieren hatte er einen solchen noch nicht gehört. Schon immer war sie stur. Was sie wollte, dafür setzte sie sich ein und in den meisten Fällen auch durch. Erst dadurch hatte sie sich noch in Westfall genügend Zeit für ihre Bücher geschaffen. Die Arbeit für das Haus Sheppard hatte sie aber stärker noch gemacht. Aus dem Stein war härtester Stahl geworden. Das Gefäß setzte er an seine Lippen. Da er es schon erwartete, schloss er die Augen und hielt den Atem an, als er das ekelhafte Gebräu herunter kippte. Ein Schütteln des Kopfes unterdrückte er. Es war widerlich. Das Gefäß nahm sie ihm aus der Hand, dann stieß sie ihm die Hand gegen die Brust. Er war so unvorbereitet darauf, dass er nach hinten stolperte.
„Nun setz dich hin. Du verblutest sonst noch.“, sprach sie ihm entgegen, gerade als er mit dem Rücken gegen einen Balken stieß. Schmerz schoss in ihm hinauf. Es war jedoch nicht jener vom Aufprall in seinem Rücken. Die Augen schloss er. Das Schwarz umfing ihn und riss ihn mit sich.