27.05.2025
Vielleicht kommt der Inhalt der Geschichte bekannt vor. Hierbei handelt es sich um eine neu geschriebene, alte Geschichte, die ich schon vor vielen Jahren geschrieben habe. Die alte Geschichte hier lesen: Eine Lagerfeuergeschichte.
Das Feuer in der Mitte knisterte und warf orangene Lichter wie umgekehrte Sternschnuppen in den Himmel. Das Züngeln der Flammen hatte etwas Beruhigendes. Diese wirkten, als wollten sie nach den unzähligen am Nachthimmel funkelnden Sternen greifen, die sie im Lichtspenden in den Schatten stellten. Ein Tanz, der willkürlich und sogleich wie gedacht wirkte. Anmutig und wild zugleich.
In ihrer typischen Art kehrte sie schwungvoll aus dem Zelt zurück. Ohne ein Wort setzte sie sich neben ihn auf den umgefallenen Baumstamm, der ihnen als Bank diente. Eine Flasche hatte sie mitgebracht, die sie erfolglos zu öffnen versuchte. Gerade als er danach greifen wollte, konnte man das leise Zischen vernehmen. Die Verkündung, dass sie es geschafft hatte. Die ausgestreckte Hand ließ er langsam sinken, als sie die Flasche demonstrativ mit triumphierendem Grinsen erhoben hielt. Es wirkte, als wolle sie ihm einen mühsam ausgegrabenen Schatz präsentieren. Diese hob sie dann an die Lippen, um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Ein leises Gluckern war dabei zu hören. Es übertönte deutlich die Geräusche des Feuers und die Stille der Nacht. Mit einem wohligen Seufzen setzte sie das gläserne Gefäß wieder ab und stellte es auf den Boden. Es gelang ihr erst nach einem Nachfassen, ihr einen sicheren Stand zu geben. Ihre Tollpatschigkeit gehörte zu ihr. Sein Blick wanderte zurück in das Feuer. Die Szenerie ließ ihn schmunzeln.
Die Luft war nicht kalt. Es war gerade so kühl, dass sich das Entzünden eines Feuers lohnte. Schon seit drei Tagen befanden sie sich mit ihrer kleinen Gruppe auf einem Ausflug in die Wildnis. Lange hatten sie diesen geplant. Dank der unterschiedlichsten Ereignisse hatte er sich aber immer wieder verschoben.
Unvermittelt legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Aus dem Augenwinkel sah er hin zu ihr. Ihre angenehme Wärme konnte er spüren, die ihm noch lieber als die des Feuers war. Schweigen breitete sich aus. Ihre Augen hatte sie in den Himmel gerichtet, um die Sterne zu beobachten, wie er es auch tat. Bis zu diesem Moment. Nun betrachtete er einen anderen Stern. Nicht einen Atemzug dachte er daran, sich der Annäherung zu erwehren.
Leise Worte ertönten von der anderen Seite im geradezu missbilligenden Ton, wo sich zwei andere der kleinen Gruppierung unbemerkt gesetzt hatten. Durch das Feuer hindurch waren sie nicht weiter wahrzunehmen. Zwei seiner alten Klassenkameraden, die er an der Stimme erkannte. Seit einigen Jahren waren sie nun schon aus der Schule, doch hatten sie nie den Kontakt verloren. Um den Ursprung klar zu sehen, hätte er sich bewegen müssen. Ein Gedanke, den er im Keim bereits erstickte, immerhin würde er so die im Moment gebrauchte Lehne entziehen.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er laut genug, dass sie es hören konnten. Die Stimme klang dabei nicht genervt und unfreundlich, aber kühler als es die Nacht selbst war. Eine Antwort blieb aus. Das war typisch für die Beiden. Er hatte einen Verdacht, wer der zweite junge Mann war. Das aufkommende Getuschel würde ohne Unterlass weitergehen. Das war nun einmal ihre Art. Dagegen konnte und wollte er nichts machen. Am Anfang hatte es ihn genervt, aber mittlerweile konnte er darüber hinwegsehen.
Keine weitere Aufmerksamkeit schenkte er ihnen, sondern dem Schopf, nein, viel eher der Mähne an roten Locken, die wie ein natürliches Kissen den Kopf polsterte. Das Haar verdeckte ihr Gesicht. Im Schein des Feuers wirkte es noch intensiver. Auch den sanften Duft nach Apfel konnte er von diesem vernehmen. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf die Lippen. Weitere Wortfetzen drangen an sein Ohr. Was sie sagten, konnte er nicht verstehen. Etwas Gutes konnte es allerdings nicht sein. Selbst wenn sie schon lange befreundet waren. In diesem Moment war es ihm egal. Die angenehmen Teile der Situation trösteten ihn mit Leichtigkeit darüber hinweg.
Etwas regte sie sich, sodass sein Arm frei wurde. Mit einem tiefen Durchatmen nahm er all seinen Mut zusammen, den er zuvor noch nie aufbringen konnte. Er legte ihn langsam und vorsichtig um ihre Schultern, als könnte er ihr damit Schaden zufügen. Viel eher war es aber, weil er nicht zu aufdringlich sein wollte. Es störte sie nicht. Sicher war er sich dem, als sie ihren Kopf zurück an den vorigen Platz legte, als hätte sie genau das gewollt. Ein Lächeln schenkte sie ihm, welches er erwiderte. Der Schein des Feuers gab ihrem sanft geschnittenen, runden Gesicht eine besondere Note. Die Blicke von der anderen Seite konnte er auf sich spüren. Ihre Beziehung zu ihm hatten sie nie verstanden.
Bewegungen waren dann zu vernehmen. Scheinbar erhoben sich die, die sich zuvor erst gesetzt hatten. Ihnen war die Atmosphäre scheinbar zu aufgeladen. Riesige Schatten warfen sie hinter sich auf die Landschaft. Über das Feuer hinweg konnte er die Gesichter erkennen, die sich als jene herausstellten, die er schon vermutet hatte. Ihre Blicke trafen sich. Einen wirklichen Gesichtsausdruck konnte er im Spiel des Lichts nicht erkennen. Aber wie das Getuschel zuvor, so war ihm dieser auch egal.
„Wir werden uns noch ein wenig die Füße vertreten, dann könnt ihr euch weiterhin so ‚intensiv‘ unterhalten.“, sprach der eine und entlockte dem anderem etwas, was wie ein Schnauben klang. Noch bevor der Angesprochene reagieren konnte, setzten die Beiden sich in Bewegung. Eine weitere Anstrengung, um etwas zu erwidern, unternahm er nicht. Lediglich schüttelte er den Kopf. Mehr als eine Motte, die zum Licht kam und sich die Flügel daran versengte, waren sie nicht für ihn.
„Lass sie gehen. Die sind wahrscheinlich nur eifersüchtig.“, erklang die ruhige, helle und weiche Stimme von seiner Schulter. Hörbar amüsiert war diese. Sie pflichtete ihm bei und nahm es locker, wie alles. Mittlerweile war er ebenso. Stets strotzte sie vor positiver Energie und sog ihre Umgebung mit in diese hinein. Er aber wusste, dass sie mit ihrer Vermutung nicht ganz Unrecht hatte.
„Wahrscheinlich. Oder sie müssen sich noch einmal in das Unterholz schlagen.“, erwiderte er im ebenso amüsierten Ton. Es war einmal mehr eine ihrer verspielten Konversationen. Seit er sie in der Schule kennengelernt hatte, waren sie auf einer Wellenlänge. Schon nach dem zweiten Aufeinandertreffen hatten sie sich angefreundet. Seitdem waren sie unzertrennlich. Die regelmäßigen Treffen mit ihr sind immer die Höhepunkte seiner Woche.
„Tja, so ist das nun einmal bei den alten Männern.“, war die freche Erwiderung daraufhin, die ihn zum Auflachen brachte. Wie aus Reflex drückte er sie einmal an sich. Die Haltung des Arms entspannte sich, als er merkte, was er da tat. In seinem Kopf verfluchte er sich für diese Reaktion, die mehr Instinkt war. Gegenwehr konnte er nicht spüren. Es störte sie nicht. Deutlich fühlte sie sich wohl in der Umarmung.
„Dann wäre ich auch alt. Du solltest bedenken, wer hier das Küken ist“, meinte er ruhig mit einem Schmunzeln und einem neckenden Unterton in der Stimme. Als er sie kennenlernte, war sie zwei Klassenstufen unter ihm. An den Tag des Schulfestes erinnerte er sich noch sehr gut. Zuerst trafen sie sich am Kuchenstand, den er auf dem Schulfest betreute. Dort suchte sie sich über das Backen philosophierend einige Stücke des Kuchens aus. Einige Wochen später traf sie in der Bibliothek auf ihn. Voller Neugier fragte sie, was er da las und konnte mit der erwähnten klassischen Literatur nichts anfangen. Als er ihr erklärte, dass es sich dabei um ein tolles Rezept handelte, welches aber schwer zu verstehen ist, brach er damit unbewusst das Eis zwischen ihnen.
„Im Kopf bist du genauso ein Küken. Allerdings nicht so bescheuert wie die anderen Typen. Das schaffen nicht viele, weißt du.“, erklärte sie, ohne sich dabei zu regen. Ihr wohltuendes Gewicht konnte er spüren.
„Ich gebe mir Mühe.“
„Bei einigen Dingen bist du allerdings ein alter Sack.“, fügte sie in ihrer frechen Art hinzu. Einmal mehr brachte sie ihn damit zum Auflachen. Mit einem Grinsen auf den Lippen sah sie zu ihm. Sie liebte es, ihn zu necken und er liebte ihre freche Art, Die Augen verharrten aufeinander. Schalk konnte er in ihnen tanzen sehen, aber auch etwas Undeutbares, was er so noch nicht gesehen hatte.
„Prüfst du nun, ob ich schon die passenden grauen Haare habe?“, stieg er in seiner Ratlosigkeit als Ablenkung auf den Scherz ein. Seinen Arm ließ er dabei an ihrem Rücken herabgleiten, sodass sie mehr Bewegungsspielraum hatte. Auf seine Frage hin erhielt er ein Schütteln des Kopfes. Wie die Funken des Feuers tanzten die Locken dabei. Sie beugte sich ihm näher. Ihren Atem konnte er spüren. Den leichten Geruch von Honig roch er. Süß wie dieser war sie. Er wollte zurückweichen. Doch warum sollte er dies tun. Diese Frage stellte er sich selbst. Sie hatte mit Sicherheit keine böse Absicht. Sah man einmal von ihrer frechen Art ab, die sie gelegentlich in kleinere Schwierigkeiten brachte, war sie der liebste Mensch, den er kannte. Für jeden hatte sie ein gutes Wort oder einen herzlichen Rat übrig. Dabei war sie auch stets zuvorkommend.
„Nein, ich überlege nur, ob die lang genug weg sind.“, hauchte sie. Mit jedem Lidschlag näherte sie sich. Schließlich überwand sie die letzten wenigen Zentimeter mit einem raschen Vorlehnen. Nach seinen Lippen haschte sie. Das weiche Gegenpaar konnte er auf den eigenen spüren. Perplex sah er sie an. Völlig überrumpelt war er. Das Gefühl des Kusses war ungewohnt. Seine Unerfahrenheit wollte er sich nicht anmerken lassen. Alle Mühe gab er sich, ihn zu erwidern. Dabei schloss er die Augen, um sich gänzlich auf sein Tun zu konzentrieren. Ob es ihm gelang, dabei war er sich unsicher. Dass sie sich nicht zurückzog gab ihm Mut, beruhigte ihn. Für einige Momente hielt der Kuss, den er mit all seinen Sinnen genoss, bevor sie ihn löste. Seine Lider hoben sich. Aus halb geöffneten Augen blickte sie ihn an. Im Schein des flackernden Feuers glänzten sie noch mehr als sonst. Sie leuchteten förmlich, ebenso wie ihr Lächeln. Einmal mehr ertappte er sich dabei, wie er in dem tiefen Braun versank, wie eine Pflanze im warmen Mutterboden. Ihr gesamtes Gesicht strahlte heller als jeder Stern am Himmel über ihnen.
Einige Lidschläge blieb es still. Noch bevor er etwas sagen konnte, griff sie nach seiner Hand. Mit einem Aufspringen erhob sie sich vom Stamm. Sie zog in sanfter Bestimmtheit. Im ersten Moment verstand er nicht, was sie wollte. Ihr Platz war perfekt und einen besseren würden sie so schnell nicht finden.
Als er sich nicht bewegte, sah sie erst über die Schulter, dann drehte sie sich um. Ihr Blick war eine stumme Frage, ob er sie denn begleiten möchte. Er würde es an jeden Ort der Welt. Nun wusste er, was er zuvor in ihren Augen gesehen hatte, diesen neuen Ausdruck. Es war eine Form der Zuneigung, die über das hinaus ging, was sie sonst zeigte. Eine Zuneigung, die er schon seit längerer Zeit empfand. Endlich sah er sie auch in ihr. Unweigerlich legte sich ein Lächeln auf seine Lippen. Dieses wirkte etwas dümmlich, aber das störte ihn nicht. Nur sie würde dieses sehen und sie war die Letzte, die über ihn urteilen würde.
Noch einmal zog sie sanft. Diesmal erhob er sich auf den Deut hin. Die Unsicherheit rang mit der Vorfreude, dem bevorstehenden Erlebnis. Den ersten Schritt machte er. Damit hatte er die Unsicherheit gänzlich besiegt. Leise war zu hören, wie etwas umfiel. Ungeachtet dessen zog sie ihn hinter sich her, hin zum noch geöffneten Eingang des Zeltes, welches sie schlussendlich mit ihm betrat. Dann schlossen sich die Pforten aus Stoff. Das Wasser aus der umgefallenen Flasche versickerte derweil langsam im Boden. Würde hier vielleicht neues Leben entstehen?